Ein Interview mit Rebecca Patzak
Rebecca Patzak ist Heilpraktikerin für Psychotherapie (HeilprG) und als Traumatherapeutin tätig. Spezialisiert ist sie auf Entwicklungs- und Bindungstraumata und arbeitet in ihrer Praxis u.a. mit Methoden der körperorientierten Psycho- und Traumatherapie basierend auf den Arbeiten von Dr. Peter Levine (Somatic Experiencing©).
Wie bist Du dazu gekommen, das zu machen, was Du tust? Was hat Dich daran fasziniert?
Ich hatte eigentlich schon immer das Gefühl, einen guten Blick auf das Ganzheitliche zu besitzen – auf das Gefüge von Gruppen, Familien und Beziehungen aller Art. Ich wurde oft auch als das „bindende Glied“ bezeichnet – die Vermittlerin in der Gruppe sozusagen. In meiner vorherigen Tätigkeit als Filmcutterin konnte ich diese Fähigkeit sehr gut anwenden, da man im Schneideraum genau in der Mitte sitzt und unterschiedlichste Bedürfnisse erkennen und bedienen muss. Regie, Produzent, Zuschauer und letztlich ja auch die Geschichte, die erzählt werden möchte.
Als ich mich entschloss, die Filmbranche aufzugeben, kam ich wieder verstärkt an den Punkt, an dem mich die seelischen und psychischen Zusammenhänge in Gruppen und Familien interessierten. Ich wollte wissen, wie diese Systeme entstehen und über viele Generationen hinweg bestehen können. Somit war für mich sehr schnell klar, dass ich gerne systemisch arbeiten wollte, um Menschen in ihren persönlichen Veränderungsprozessen zu begleiten.
Dass mich mein Weg über die Systemische Methode dann letztendlich zur Traumatherapie
führen würde, wusste ich damals noch nicht. Also ist vielleicht die Essenz, die mich an meiner therapeutischen Arbeit fasziniert, der Mensch in seinem ganzheitlichen Sein.
Hast Du eine spezielle Ausbildung für die einzelnen Bereiche?
Auf der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsinstitut für die systemische Methode, habe ich nicht nur die Systemische Therapie nach Virginia Satir (kennen)gelernt, sondern auch die Gesprächspsychotherapie nach Carl Rogers und die Traumatherapie in Bezug auf frühkindliches Entwicklungs- und Bindungstrauma.
Bei der Ausbildung merkte ich schnell, dass die Traumatherapie mir von allen drei Methoden am nahesten war. Die Ausbildung war sehr praxisbezogen und die Selbsterfahrung im traumatherapeutischen Kontext war für mich ein sehr persönlicher und berührender Augenöffner. Ich habe in dieser Zeit so viel über mich, mein Leben, mein Umfeld, meine Beziehungen und meine eigenen Verhaltensweisen gelernt, wie die vielen Jahre zuvor nicht.
Meine Ausbildung zur Entspannungstherapeutin und Kursleiterin für Entspannungsverfahren war dann noch ein weiterer Baustein, wie wir uns wieder in die Regulation bringen können. Somit habe ich eine wirklich gute Grundlagenausbildung in unterschiedlichen Therapiemethoden, die ich auch heute noch in meinem Praxisalltag miteinander kombiniere.
Im Herbst werde ich zusätzlich noch eine Ausbildung in EMDR machen.
Nutzt Du Teile aus der Entspannungspädagogik auch in der Traumatherapie? Wie darf ich mir
das vorstellen?
Ich nutze in der Traumatherapie gerne den Atem, da er der direkteste Zugang zu unserem autonomen Nervensystem ist. Außerdem arbeite ich sehr viel mit der Wahrnehmung des Körpers.
Warum hast du dich entschieden, Heilpraktikerin für Psychotherapie zu werden?
Am Anfang war bei mir der Gedanke gar nicht so sehr vorhanden, therapeutisch zu arbeiten. Ich hätte mich auch gut als Beraterin gesehen.
In meiner Ausbildung habe ich jedoch schnell gemerkt, dass die Grenze zwischen Beratung und Therapie leicht verschwimmen kann. Wo hört Beratung auf und wo fängt therapeutisches Arbeiten an? Alleine das Wissen, ob eine psychische Krankheit nach der ICD (International Classification of Deseases) vorliegt, und in welchem Kompetenzrahmen ich mich als Heilpraktikerin für Psychotherapie bewegen darf, hat mir eine große Sicherheit gegeben.
Ich habe mit Menschen zu tun, die mit einem Vertrauensvorschuss zu mir kommen und sich kompetente Begleitung erwarten und da trage ich eine große Verantwortung. Somit habe ich mich entschieden, die Prüfung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie abzulegen.
Was macht für dich persönlich einen guten Heilpraktiker aus? Auf was sollte man Deiner
Meinung nach achten, wenn man zu einem Heilpraktiker gehen möchte?
Für mich ist es immer enorm wichtig, dass jemand in seinem Fachbereich Kompetenz besitzt und seinen Kompetenzbereich nicht überschreitet.
Als Heilpraktikerin für Psychotherapie darf ich beispielsweise psychotische Krankheitsbilder nicht behandeln, das gehört in ärztliche Hand. Auch ein Heilpraktiker, der vorgibt, er könne Krankheiten wie Krebs heilen, überschreitet definitiv seine Kompetenzen, und zwar nicht nur, weil er kein Heilversprechen geben darf, sondern auch dahingehend, dass es wirklich fatale gesundheitliche Folgen für den Patienten haben kann.
Darüber hinaus finde ich es wichtig, dass sich meine Klienten von mir ernst genommen fühlen mit ihrer Krankheit und den Sorgen und Ängsten, die damit einhergehen. Meiner Meinung nach gehören Empathie und Wertschätzung, Bindung und Vertrauen, zu den ganz wichtigen Punkten, die man in Heilberufen einem Klienten gegenüber haben sollte.
Woher weiß man, ob man an einem Trauma leidet oder nicht?
Wir unterscheiden bei Trauma zwischen Schocktrauma und frühkindlichem Entwicklungs- und Bindungstrauma.
Ein traumatisches Ereignis ist ein Einschnitt in unser sicheres und gewohntes Leben und kann entstehen, wenn wir ein „Zu-Viel“ – „Zu-Plötzlich“ – „Zu-Schnell“ erfahren haben und wir diese Situation als bedrohlich und überwältigend erleben. Dieses Erleben von „Zu-Viel“ – „Zu-Plötzlich“ – „Zu-Schnell“ speichert unser Nervensystem ab und dort bleibt es gebunden, bis es sich wieder lösen darf. Wir sprechen dann vom Ausagieren oder Entladen.
Es kann also passieren, dass wir ein traumatisches Erlebnis in der Vergangenheit hatten, und auf einen Trigger in der Gegenwart nicht adäquat reagieren können, sondern im Hier und Jetzt immer noch mit nicht zu Ende gebrachten Mechanismen wie Starre, Angriff oder Flucht reagieren.
Das frühkindliche Entwicklungs- und Bindungstrauma entsteht über einen längeren Zeitraum und hat dadurch eine Auswirkung auf unsere Persönlichkeit. Ein Entwicklungs- und Bindungstrauma kann entstehen z. B. bei Vernachlässigung oder Alleinlassen eines Kindes, fehlende Geborgenheit, wenn ein Elternteil depressiv ist und dadurch nicht in der Lage ist, eine Bindung mit dem Kind einzugehen. Das Gehirn des Kleinkinds ist noch nicht so entwickelt, dass es sich selbst regulieren kann, es ist auf die Regulation von außen angewiesen. Es kann sich selbst sachlich nicht erklären, warum die Bezugsperson nicht kommt, um es zu beruhigen, wenn es nachts aufwacht und panische Angst hat – für das Kind ist dies beängstigend und es entsteht eine subjektiv gefühlte lebensbedrohliche Situation.
Symptome bei Traumatischen Erfahrungen können sein
- Übererregung
- Schlaflosigkeit, Erschöpfung
- Keinen Zugang zum eigenen Körper haben
- Sich im Körper „nicht angekommen“ fühlen
- nicht zu fühlen, was man fühlt
- die eigenen Bedürfnisse nicht spüren
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Wutanfälle
- Kopfschmerzen, Migräne, Tinnitus
- Gefühle, dass alles zu viel ist, Hilflosigkeit, Gefühle von seelischer Ohnmacht
- Schuld- und Schamgefühle
- Überwachsamkeit, ständige Anspannung
- Albträume
- uvm
Das Ziel der Traumatherapie ist es, unser Nervensystem wieder in die Regulation und ins Gleichgewicht zu bringen, und wieder in die eigene Handlungsfähigkeit zu kommen, statt in permanenter innerer Alarmbereitschaft zu verharren wie Wut (Kampfreflex), Angstattacken (Fluchtreflex) oder Erstarrung. Ein Trauma ist also die Reaktion auf ein Ereignis und ist nicht das Ereignis selbst.
Ein Zitat von Dr. Peter Levine, Entwickler der Somatic Experiencing© Methode beschreibt
dies sehr gut:
„Ein Trauma ist im Nervensystem gebunden. Durch einschneidende Erlebnisse hat dieses seine volle Flexibilität verloren. Wir müssen ihm deshalb helfen, wieder zu seiner ganzen Spannbreite und Kraft zurückzufinden.“
Wie gehst Du vor, wenn jemand eine Terminanfrage stellt?
Entscheidest Du, welche Methode für denjenigen in Frage kommt?
Es gibt immer ein erstes Kennenlerngespräch, bei dem ich gemeinsam mit dem Klienten sein Anliegen bespreche, von meiner Arbeitsweise erzähle und Fragen beantworte. Daraus entsteht dann ein Therapiekonzept, das aber nicht in Stein gemeißelt ist. Da ich sogenannt prozessorientiert arbeite, habe ich den roten Faden zwar immer im Blick, frage jedoch zu Beginn einer jeden weiteren Stunde, wo sich mein Klient gerade befindet und was vielleicht momentan gerade ansteht und besprochen werden möchte. Bezüglich der Methodik und möglicher Übungen, lasse ich mich oft von meiner Intuition leiten.
Was tust Du, wenn jemand A möchte, Du aber weißt, dass ihm A nicht hilft?
Mir ist es bisher noch nicht passiert, dass jemand auf eine bestimmte Methode bestanden hätte. Die Methode ist bei einem therapeutischen Gespräch oft auch zweitrangig. Viel wichtiger sind Vertrauen, Bindung, Wertschätzung und der wertfreie Raum, in dem es kein richtig oder falsch gibt.
Warum ist aus Deiner Sicht eine Traumatherapie wichtig, wenn man ein Trauma erlitten hat?
Ich höre sehr oft von meinen Klienten, dass sie sich die Ursache ihres Verhaltens zwar kognitiv erklären können, es jedoch nicht nachvollziehen können, warum – trotz des Verstehens – immer noch z. B. Angst- und Panikattacken passieren, oder der Wutanfall plötzlich ausbricht.
In der körperorientierten Traumatherapie, die auf der Somatic Experiencing© Methode von Dr. Peter Levine beruht, arbeite ich mit meinen Klienten sehr stark in der wertfreien Wahrnehmung und Beobachtung der körperlichen Reaktionen auf ein Ereignis. Wir arbeiten viel mit dem „Spürbewusstsein“ und nicht nur mit dem „Denkbewusstsein“, da ein seelisches Trauma „im Körper steckt“. Deshalb wird ein Verstehen und immer wieder darüber sprechen die Angst und die Wutanfälle nicht auflösen. Der Klient wird geschult, seine körperlichen Empfindungen auf ganz einfache Art wahrzunehmen und die Signale seines Nervensystems zu erkennen, bevor er in ein Gefühl der Überwältigung kommt.
Somit kann die im Nervensystem gebundene Energie wieder langsam und schrittweise in Fluss kommen. Alles passiert im individuellem Tempo des Klienten, um nicht wieder in ein „Zu-Viel“ – „Zu-Plötzlich“ und „Zu-Schnell“ zu gelangen. Der Klient lernt durch dieses sehr achtsame Vorgehen, seine Gefühle zu beobachten, ohne damit in die volle Identifikation zu gehen und hat dadurch die Möglichkeit, wieder in seine eigene Handlungsfähigkeit zu kommen.
Was machst Du selbst, wenn Du total gestresst bist?
Wenn ich sehr gestresst bin, hilft mir die Methode „Singen-Springen-Tanzen-Hüpfen“ am allerbesten – am liebsten mit lauter Musik ☺
Manchmal gibt das die Situation aber nicht her, dann hilft es mir, bewusst zu atmen und mir selbst beim Atmen zuzuhören. Somit ist auch noch mein Sinnesorgan Ohr involviert und unterstützt die bewusste Atmung. Für mich spielt der Atem eine immer wichtiger werdende Rolle und ist mir eine sehr wertvolle Ressource geworden, um mich schnell wieder zu regulieren.
Über die Selbstregulation bei Stress habe ich auch einen Beitrag in meinem Blog geschrieben.
Da Du selbst Entspannungsverfahren auch anbietest: Machst Du selbst regelmäßig
AT/PM/Meditation?
Ja, ich praktiziere selbst auch Entspannungsverfahren.
Was davon magst Du am liebsten?
Von den klassischen Entspannungsverfahren mag ich persönlich das Autogene Training sehr und den Body-Scan.
Beim Autogenen Training fasziniert mich, dass wir letztendlich nur durch unsere reine Vorstellungskraft, unser autonomes Nervensystem beruhigen können. Eine sehr feine Sache und für mich tief entspannend. Wenn ich vor dem Einschlafen einige Formeln des Autogenen Trainings praktiziere, sind meine Schlafwerte gleich um ein Vielfaches besser, als wenn ich es nicht tue.
Den Body-Scan integriere ich häufig in meinen Alltag und hole mir zwischendurch immer wieder ins Bewusstsein, wie sich verschiedene Körperteile in diesem Moment anfühlen. Alleine durch die wertfreie Wahrnehmung tritt bereits Entspannung ein.
Wie hat sich Deiner Meinung nach die Pandemie auf die Menschen ausgewirkt?
Das ist wahrlich keine leichte Frage, da die Pandemie so unterschiedliche Facetten besitzt. Ich kann und möchte auch nicht für die Menschheit generell sprechen, aber meine Wahrnehmung bezüglich der Mitmenschen in meinem nahen Umfeld teile ich gerne.
Ich habe die Pandemie als eine Zeit wahrgenommen, in der in kurzer Zeit auf unterschiedlichsten Ebenen, Ereignisse aufeinandergeprallt sind, auf die wir so nicht vorbereitet waren. Dazu gehören u. a. eine große Unsicherheit bezüglich des Virus und seiner Auswirkungen, unterschiedlichste Meinungen und Ansichten darüber, die daraus entstandenen Ängste in Bezug auf Krankheit und Tod und noch so vieles mehr.
Wir gingen vor der Pandemie vielleicht zu sehr davon aus, dass es uns eigentlich nur noch besser und es weiterhin immer nur bergauf gehen wird, und sind dann aus unserem bisher doch einigermaßen sicheren und planbarem Leben gerissen worden – ohne Vorwarnung. Ich nehme die Menschen in meinem nahen Umfeld als sehr viel zurückhaltender und verletzlicher wahr.
Viele haben in ihrem Freundes- und Familienkreis einen Menschen verloren, leiden vielleicht selbst unter Langzeitschäden der Krankheit oder kennen jemanden, dem es so geht. Das Thema Krankheit, Tod und Trauer ist bei uns allen viel mehr in den Vordergrund gerückt und immer noch sehr präsent.
Ich habe das Gefühl, dass sich die Gesellschaft stark gespalten hat da es so unterschiedliche Ansichten und Wahrheiten gibt und man erst einmal abklopfen möchte, auf welcher Seite das Gegenüber eigentlich steht. Ich kenne Familien und Freundschaften, die wegen beharrlich vertretenen Meinungen leider auseinandergebrochen sind.
Wenn Du der Welt etwas sagen könntest, was wäre das?
Wenn es mal gar nicht weitergeht: Einatmen und Ausatmen ☺
Was ist Dein Lieblingszitat?
„Das Leben ist nicht das, was es sein sollte. Es ist, was es ist. Die Art und Weise damit umzugehen, macht den Unterschied“
Virginia Satir